Saint Malo – Bayeux – Arromanches-les-Bains

Die Nacht endet früh für uns in Saint Malo. So brechen wir eher auf als sonst und nehmen heute auch eine etwas längere Etappe in Angriff. Bayeux soll unser erstes Ziel sein. Dort wollen wir uns den berühmten Teppich von Bayeux anschauen. Wir werden aber auch von einer sehr schönen Altstadt und der Pracht der Kathedrale von Bayeux überrascht. Danach geht es ans Meer. Dort wollen wir eine erste Begegnung mit den Geschehnissen rund um den D-Day vom Juni 1944 wagen.

Die Aufbruch in Le Bignon

Die Nacht auf dem Parking du Davier am Stadtrand von Saint-Malo endet für uns am sehr frühen Morgen. Punkt 06:35 Uhr stimmt ein Rasenmäher sein „Konzert“ an, das uns den letzten Schlaf raubt. Wir hoffen zunächst, dass es vielleicht gleich vorbei ist, und bleiben in der Hoffnung auf ein weiteres Stündchen Schlaf erst einmal liegen. Als wir diese Strategie gegen 08:00 Uhr aufgeben und aufstehen, stellt der Rasenmäher wie zum Hohn 10 Minuten später sein Knattern ein und verstummt.

Um 09:28 Uhr brechen wir mit dem Ziel Bayeux auf. Die gut 160 Kilometer bis dorthin sollten in etwa zwei Stunden zu schaffen sein. Bevor es jedoch richtig auf die Piste geht, legen wir am Relais St. Malo Quest einen Tankstopp ein. Mit 1,953 Euro pro Liter liegen wir unter unserer akzeptablen Zwei-Euro-Grenze und sind mit diesem Stopp recht zufrieden. Das Einzige, was wir hier jedoch nicht finden, ist eine Möglichkeit, unser Altglas loszuwerden, das sich in den letzten Tagen im Auto angesammelt hat.

Nun geht es auf der N176 in Richtung Osten. Nach den ersten 15 Kilometern fällt uns rechts von unserer Route, gleich neben der Nationalstraße, der Ort Dol-de-Bretagne auf. Eine mächtige Kathedrale mit Doppeltürmen am Westwerk ragt über die geduckten Häuser des Städtchens empor. Da unser Reiseführer berichtet, dass Dol einst die Hauptstadt der Bretagne war, verlassen wir kurzentschlossen die Schnellstraße und drehen eine Runde durch das gerade einmal 5.800 Einwohner zählende Städtchen. Die romanische Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert ist von außen sehr beeindruckend und kommt auf unsere Besuchsliste für eine zukünftige Reise in diese Gegend.

Weiter nach Bayeux

Weiter geht es auf der Nationalstraße, die bei Pontorson zur N175 wird. Hier und da haben wir rechter Hand einen Blick auf den legendären Mont-Saint-Michel. Es ist immer wieder erstaunlich, welche Wirkung dieses einzigartige Gebilde aus Fels und Kathedrale selbst aus dieser Entfernung auf den Betrachter hat.

Steinschlag

Bei Avranches wechseln wir auf die Autobahn A84 und fahren weiter, wobei wir jeden Park- oder Rastplatz ansteuern, um die Sache mit dem Altglas zu lösen – leider ohne Erfolg. Dafür sorgt ein Steinschlag auf der Autobahn, der quasi aus dem Nichts kommt, dafür, dass unsere Windschutzscheibe fast zu Altglas wird. Mit einem scharfen, fiesen Schlaggeräusch gräbt offenbar ein Splitter oder ein Kieselstein einen deutlich sichtbaren Krater in das Glas. Sehr ärgerlich. Später sollte uns dieser Schaden etwa 500 Euro kosten. Aber die Scheibe hält wenigstens, sodass wir die Fahrt fortsetzen können.

Steinschlag

Gegen 11:40 Uhr verlassen wir die A84 bei Monts-en-Bessin und fahren nach Norden in Richtung Bayeux. Als wir den südlichen Stadtrand erreichen, schlägt unser Navi uns einen recht seltsamen und verworrenen Weg ins Stadtzentrum vor. Das hat jedoch den Vorteil, dass wir an einem Altglascontainer mit Parkmöglichkeit vorbeikommen. So können wir uns endlich der leeren Gläser und Flaschen entledigen, die in unserem „Keller“ unnötig viel Platz weggenommen haben.

Bayeux

Um 12:30 Uhr stellen wir den Camper auf dem Marché Saint-Patrice, dem historischen Marktplatz von Bayeux, ab und machen uns mit den Rädern auf den Weg. Zunächst geht es die quirlig belebte Rue Saint-Malo hinunter. In den meist zweigeschossigen, historischen Häusern haben zahlreiche Läden ihre Heimat gefunden. Ganz klar dominieren hier Bekleidungsgeschäfte. Doch auch Immobilienbüros, Lebensmittelhändler, Bäckereien, Souvenir- und Buchläden sind vertreten. Ergänzt wird das Angebot durch Optiker, Schuh- und Handyläden sowie Apotheken. Bistros, Bäckereien und ein Subway sorgen für das leibliche Wohl, und wenn die Frisur nicht mehr richtig sitzt, ist auch ein Coiffeur zur Stelle. Die Rue Saint-Malo ist schmal. Nur eine Spur steht den PKWs in eine Richtung zur Verfügung. Die wenigen Parkbuchten sind von der Kundschaft der vielen Geschäfte gut ausgelastet.

Dann biegen wir nach rechts in die Rue des Cuisiniers ein, die „Straße der Köche“. Und tatsächlich scheint hier das kulinarische und gastronomische Herz von Bayeux zu schlagen. Bistros, Crêperien und Restaurants dominieren besonders den hinteren Teil der Straße, kurz vor der Cathédrale Notre-Dame de Bayeux. Gerne würden wir verweilen, doch wir haben ein anderes Ziel.

  • Rue des Cuisinieres, Bayeux
  • Restaurant l' Assiette Normande, Bayeux

Kathedrale von Bayeux

Zunächst stehen wir vor dem prächtigen Portal an der Westfassade, die in der Mittagshitze einen kühlen Schatten wirft.

Die Westfassade

Auffällig sind die fünf Portale, von denen jedoch nur drei mit einer Tür ins Innere versehen ist. Das linke und rechte äußere Portal sind quasi blind und ohne Tür. Einst standen in diesen Portalen je zwei Skulpturen. Ihre kunstvoll gestalteten Nischen mit Sockeln und Dächern sind heute leer. Fielen sie, wie so viele andere sakrale Kunstwerke, der Wut der Bevölkerung während der Französischen Revolution zum Opfer?

Das Tympanon über der doppelflügeligen Tür des Hauptportals bietet keinen Platz für die an dieser Stelle sonst übliche Darstellung des Weltgerichts. Stattdessen wird dieses Thema gleich zweimal aufgegriffen: Über den benachbarten nördlichen und südlichen Nebenportalen wird die Geschichte des Jüngsten Gerichts erzählt, in der Gott jene voneinander scheidet, die die Qualen der Hölle erleiden oder die Verheißungen des Himmels erfahren werden. Beide Darstellungen stammen aus dem Jahr 1427.

Über dem Hauptportal hingegen findet sich nur eine bescheidene Fensterrosette. Auf den ersten Blick mag die angesichts der übrigen Pracht etwas enttäuschend wirken. Doch richtet man den Blick nur wenige Meter höher, so erhebt sich über dem Tympanon ein riesiges vierbahniges Maßwerkfenster. Die Nachmittagssonne muss durch dieses filigran gestaltete Fenster ein beeindruckendes Licht in das Innere des Gotteshauses projizieren.

Das wuchtige Turmpaar links und rechts des Hauptportals ragt eigenartig schmucklos bis auf eine Höhe von 75 Metern in den Himmel.

Der Innenraum

Wir betreten die Kathedrale erst einige Stunden später durch die einflügelige Tür des südlichen Nebenportals. Zur Mittagszeit fand ein Gottesdienst statt, den wir keinesfalls stören wollten.

Im Inneren stehen wir vor dem gewaltigen Mittelschiff mit seinen 23 Metern Höhe, 10 Metern Breite und 96 Metern Länge. Ein Blick nach links und rechts zeigt, dass es sich bei der Kathedrale von Bayeux um einen dreischiffigen Bau handelt – anders, als es die fünf Portale an der Westfassade vielleicht vermuten lassen.

Das Mittelschiff

Ein auffallend helles Licht flutet durch die südlichen Obergaden in das Mittelschiff und lässt die kunstvolle Gestaltung der nördlichen Jochbögen und des Triforiums erkennen. Wir durchschreiten das Mittelschiff in Richtung Osten und werfen auf dem Weg noch einmal einen Blick auf die Nordseite. Mächtige Pfeiler tragen die Joche. Kunstvoll sind diese mit Diensten verziert, die als aufgesetzte Vorwandsäulen nach oben streben. Sie enden in kunstvoll gestalteten Kapitellen mit Akanthus-Motiven und setzen sich gleichzeitig in den Bögen der Arkaden fort.

Über den Arkadenbögen befinden sich geometrische Muster aus scheinbar verflochtenen Linienquartetten – rund und rechteckig –, die an arabische Vorbilder erinnern. Darüber, im Triforium, finden sich erneut Akantusmotive in ungeahnter Fülle sowie Strukturen, die den Regeln des Maßwerks folgen.

Darüber wiederum befinden sich die Obergaden mit ihren riesigen Fenstern und das filigrane Deckengewölbe. Alles fügt sich zu einer bemerkenswerten architektonischen und künstlerischen Einheit zusammen.

  • Mittelschiff und Chor, Kathedrale von Bayeux
  • Im Mittelschiff, Kathedrale von Bayeux
  • Akantuskapitell, Kathedrale von Bayeux
  • Joche, Triforium und Obergaden Kathedrale von Bayeux

Wir erreichen die Vierung, über der sich der mächtige Vierungsturm 95 Meter hoch in den Himmel erhebt. Das Gestaltungskonzept setzt sich dort nahtlos fort.

Die Vierung

In Raum der Vierung finden wir eine prächtig vergoldete Madonnenfigur in Lebensgröße. Auf dem Schoß trägt sie das Gotteskind. Das Kind, mit dem Gesicht eines Erwachsenen trägt eine Krone und hält einen Reichsapfel in der linken Hand. Die Madonna selbst ist ebenfalls mit einer Krone geschmückt und hält in der rechten Hand eine Stab mit einer französische Lilie – wohl Symbole dafür, wie eng die Normandie sich zum französischen Königreich zugehörig fühlte.

Diese enge Verbindung war keineswegs selbstverständlich. Seit der Eroberung Englands durch Wilhelm dem Eroberer. hatte der aus der Normandie stammende Adel dort das Sagen. Später versuchten Nachkommen dieses Adels, die französische Krone an sich zu reißen, was im Hundertjährigen Krieg mündete. Die Normandie gehörte dabei zu den besonders umkämpften Gebieten.

  • Gewölbe der Vierung, Kathedrale von Bayeux
  • Vergoldete Madonna mir dem Kind, Kathedrale von Bayeux
Der Chor

Von der Vierung aus schauen wir in den weiteren vier Joche langen Chor. Ein Lettner, der den Blick auf den Gebetsraum der Chorherren verdecken würde, fehlt. Auch ist die Ausstattung des Chores ist bescheiden. Nur wenige Plätze des wohl einst prächtigen Chorherrengestühls sind noch erhalten. Der Bischofsstuhl, der Altar und das Pult scheinen Produkte der Moderne zu sein. Einzig der bis zur Höhe der Obergaden aufragende Kapellenkranz mit seinen gotischen Spitzbögen, Rosetten und Medaillons zeugt von der einstigen Pracht dieses Raumes.

Wir schlendern durch den Chorumgang und nehmen die Apsis mit ihren Nebenkapellen in Augenschein. Die mittlere, die Chapelle Notre-Dame, ist die größte und wohl sehenswerteste. Im Vergleich zu ihren vier Schwestern links und rechts ragt sie doppelt so weit in die Tiefe. Den Altar schmückt erneut eine Darstellung der Gottesmutter mit dem Kind. Das Motiv ähnelt der vergoldeten Plastik in der Vierung, doch hier wurde auf filigrane Malerei statt auf durchgehende Vergoldung gesetzt. Zudem wirkt das Kind mit seinem kindlichen Gesicht natürlicher.

  • Chorumgang, Kathedrale von Bayeux
  • Chapelle Notre-Dame, Kathedrale von Bayeux
  • Madonna mit dem Kinde, Chapelle Notre-Dame, Kathedrale von Bayeux
In der Krypta

Bevor wir die Kathedrale verlassen, steigen wir noch in die Krypta hinab. Fresken mit musizierenden Engeln über schlichten korinthischen Säulenkapitellen und eine farbenprächtige Malerei an den Seitenwänden sind die künstlerischen Highlights dieses Raums. Als erster Teil der Kathedrale entstanden, geriet die Krypta im Mittelalter in Vergessenheit und wurde erst im 15. Jahrhundert wiederentdeckt. Ihr ursprünglicher Charakter blieb so weitgehend erhalten.

  • Krypta, Kathedrale von Bayeux
  • Korinthisches Kapitell, Krypta, Kathedrale von Bayeux
  • Wandbild, Krypta, Kathedrale von Bayeux
Die Fenster

Zurück geht es durch das Mittelschiff. Dabei fällt uns auch das südliche Seitenschiff mit seinen farbenprächtigen vierbahnigen Maßwerksfenstern ins Auge. Diese erzählen Geschichten aus der christlichen Liturgie und sind den Bischöfen von Bayeux gewidmet. Die meisten der Glasmalereien sind jedoch nicht mehr im Original erhalten. Besatzungen, Bilderstürme und andere historische Wirren richteten erheblichen Schaden an oder ließen diese Kunstwerke in Depots verschwinden, aus denen nur wenige ans Licht zurückkehrten.

Maßwerksfenster, Kathedrale von Bayeux
Maßwerksfenster, Kathedrale von Bayeux

Die Südfassade

Wir verlassen die Kathedrale durch das südliche Nebenportal und treten in die Rue Lambert-Léonard Le Forstier hinaus. Von dort haben wir eine gute Übersicht über die prächtige Südfassade mit ihren auffällig großen gotischen Maßwerksfenstern und dem beeindruckenden südlichen Hauptportal.

Dieses Portal ist besonders reich gestaltet. Das Tympanon über der zweiflügeligen Pforte zeigt eine Besonderheit: Nicht das Weltgericht der Apokalypse ist dargestellt, sondern das Martyrium des heiligen Thomas Becket. Dieses Motiv verweist auf die engen politischen und kulturellen Beziehungen der Normandie zu England und die Verehrung des später heiliggesprochenen Erzbischofs von Canterbury. In einem langen Machtkampf zwischen Kirche und dem englischen Königshaus wurde er der Legende nach am 29. Dezember 1170 ermordet. Bereits im 13. Jahrhundert wurde dieses Ereignis in Bayeux künstlerisch verarbeitet.

Den schönsten Blick auf die Kathedrale von Bayeux finden wir ein paar Meter weiter in Richtung Osten. Unter stahlblauem Himmel, über dem erste Federwolken ziehen, erstrahlt die Kirche im hellen Sonnenlicht einer späten Mittagsstunde. Apsis und Chorhaus, das südliche Querschiff und die gewaltige Vierungslaterne bieten gemeinsam mit den Maßwerkfenstern, den gotischen Bögen und dem filigranen Strebewerk eine äußerst gelungene architektonische Symbiose. Als i-Tüpfelchen ragen neben dem Vierungsturm die kleinen Türmchen am Choraus und über der Fassade des südlichen Querhauses auf. Aus dieser Perspektive erscheinen sie kaum niedriger als die beiden großen Türme der Westfassade.

  • Südportal, Kathedrale von Bayeux
  • Martyrium des Thomas Becket, Südportal, Kathedrale von Bayeux
  • Chor und Südportal, Kathedrale von Bayeux

Warum vor der Kathedrale die Flaggen Kanadas, der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritanniens wehen, wird sich uns auch heute nocht erschließen.

Wir lassen die Kathedrale hinter uns. Nicht weit entfernt, in der Allée des Augustines, wartet die eigentliche kunsthistorische Sensation von Bayeux auf uns.

Der Teppich von Bayeux

Untergebracht im ehemaligen Augustinerkloster von Bayeux befindet sich das Musée de la Tapisserie de Bayeux. Das Haus mit dem schlichten Namen „Wandteppichmuseum“ birgt das wohl bekannteste Kunstwerk des europäischen Mittelalters: den Wandteppich von Bayeux, der detailgetreu eine Geschichte aus dem 11. Jahrhundert erzählt.

Vor einem realen politischen Hintergrund geht es um Königtum und Verrat, Geiselnahme und Krieg, Rache und Sieg. Gestickt auf einer über 68 Meter langen Stoffbahn wird in farbprächtigen Bildern die Invasion der Truppen Wilhelms, Herzog der Normandie, in England geschildert. Die künstlerische Ausführung erinnert sofort an einen modernen Comic.

Um den Teppich im Original zu betrachten, ist der nicht unbeachtliche Betrag von 11,00 Euro pro Person zu entrichten. Diese Investition lohnt sich jedoch auf jeden Fall. In einem dunkel gehaltenen, länglichen Raum ist die Kostbarkeit in einer speziell angefertigten Vitrine zu bewundern. Dort ist der Teppich optimal vor Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen geschützt. Das besondere künstliche Licht trägt ebenfalls zur Erhaltung des Gewebes und der Farben bei.

  • Der Teppich von Bayeux

Ausgestattet mit einem Audioguide in deutscher Sprache können wir Szene für Szene abschreiten. So erleben wir, wie der alternde König Édouard von England, wegen seiner Frömmigkeit „Der Bekenner“ genannt, mangels eines direkten Erben Wilhelm, Herzog der Normandie, zu seinem Nachfolger bestimmt.

Die Handlung

Harold, der Schwager des Königs, soll diese Botschaft zu Wilhelm in die Normandie tragen. Es wird von Harolds Einschiffung und seiner Überfahrt über den Ärmelkanal berichtet. In der Normandie angekommen werden Harold und seine Begleiter jedoch von einem abtrünnigen normannischen Adligen festgesetzt und entführt. Für ihre Freilassung soll ein üppiges Lösegeld fließen.

Wilhelm erfährt durch einen Informanten von der Entführung und bringt den Entführer zur Räson. Harold wird Gast an Wilhelms Hof und überbringt dort die Nachricht von Wilhelms Bestimmung zum Nachfolger König Édouards nach dessen Tod.

Anschließend schildert der Teppich eine militärische Expedition Wilhelms in die Bretagne. Der Fürst von Dol hatte Wilhelm um Hilfe gebeten, da der Oberbefehlshaber der bretonischen Truppen einen Aufstand gegen seinen eigenen Herren angezettelt hatte. Harold schließt sich diesem Unternehmen an und bewährt sich besonders, als Wilhelms Reiter im Treibsand zwischen dem Festland und dem Mont-Saint-Michel in Not geraten. Der Aufständische wird besiegt, und Wilhelm und Harold kehren in die Normandie zurück. In der Kathedrale von Bayeux schwört Harold Wilhelm die Treue und verspricht, sein Vasall zu sein.

Harold kehrt nach England zurück, und es kommt, wie es kommen muss: Der alte König Édouard stirbt, und Harold reißt die Königswürde an sich. Später behauptet Harold, der Treueschwur gegenüber Wilhelm sei ihm durch eine List abgerungen worden.

Diesen Verrat kann Wilhelm nicht auf sich sitzen lassen. Außerdem will er nicht auf den ihm zustehenden Königstitel von England verzichten. In opulenten Bildern wird dargestellt, wie Wilhelm ein Heer aufstellt und eine große Flotte bauen und ausrüsten lässt. Mit Tausenden Kriegern, darunter viele Reiter, überquert er den Ärmelkanal von Saint-Valéry-sur-Somme nach Pevensey an der Südostküste Englands. Das Leben im Feldlager und die Plünderungen, die notwendig waren, um die Truppen zu versorgen, werden ebenfalls gezeigt.

Harold eilt mit seinen Truppen aus dem weit entfernten Norden Englands heran, wo er zuvor die Angriffe norwegischer Wikinger erfolgreich abgewehrt hatte. Verhandlungen zwischen Wilhelm und Harold scheitern, und es kommt zur großen Schlacht bei Hastings zwischen den Engländern und den Normannen. Allein sieben Szenen des Teppichs widmen sich diesem Gemetzel. Wilhelms Truppen erringen schließlich den Sieg, und Harold kommt auf besonders grausame Weise ums Leben: Ein Pfeil trifft ihn mitten ins Auge, und ein Schwert trennt eines seiner Beine ab.

Der Teppich erzählt all das und vieles mehr. Die Details, die die Handlung unterstützen, scheinen unendlich zu sein. Wir lernen die Waffen kennen, die damals in Schlachten verwendet wurden, erfahren, wie Schiffe gebaut und gesteuert wurden, und werden sogar Zeugen einer sexuellen Verfehlungen an Wilhelms Hof. Die obere und untere Bordüre des Teppichs zeigen unzählige Darstellungen von Tieren und Fabelwesen, aber auch Motive, die die Handlung ergänzen. So erscheint in der oberen Bordüre nahe der Szene mit Harolds Krönung als böses Omen der Halleysche Komet am Himmel über England. Vier Szenen später sind in der unteren Bordüre seltsam farblose „Geisterschiffe“ zu sehen – vermutlich ein Vorzeichen der Gefahr, die Harold vom Meer droht. Insgesamt zeigt der Teppich 623 Menschen, 202 Pferde, 55 Hunde, 505 andere Tiere, 27 Gebäude, 41 Schiffe und Boote sowie 49 Bäume.

Die Geschichte des Teppichs endet abrupt mit der Szene, in der Harold stirbt. Es gibt keine Bilder vom Triumph der Sieger oder von Wilhelms Krönung. Man vermutet, dass ursprünglich weitere Szenen existierten, die im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen sind.

Nach etwa einer Stunde haben wir alle Szenen betrachtet. Das Tempo wird dabei gewissermaßen durch den Audioguide vorgegeben, der uns fast im Minutentakt von Bild zu Bild führt. Wir besuchen noch den Museumsshop und nehmen zwei Broschüren mit, von denen eine eine Reproduktion des Teppichs im Maßstab 1:7 enthält.

Der Teppich in den Jahrhunderten

Über die Jahrhunderte hat der Teppich stark gelitten. Bis zur Französischen Revolution wurde er jährlich einmal in der Kathedrale von Bayeux gezeigt, indem man ihn an den Pfeilern der Joche aufspannte – eine Methode, die dem filigranen Gewebe sicher nicht zuträglich war. Dazwischen wurde er zusammengelegt im Tresor der Kathedrale aufbewahrt. Vom Schutz vor Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen konnte da noch keine Rede sein.

Heute weist der Teppich viele Schadstellen auf, von denen einige restauriert wurden. Um ihn in Zukunft besser präsentieren zu können, ist eine umfassende Renovierung und Erweiterung des Musée de la Tapisserie de Bayeux geplant. Das Museum wird hierzu am 1. September 2025 geschlossen. Zur Feier des 1000. Geburtstags von Wilhelm dem Eroberer im Jahr 2027 soll das Museum wieder eröffnet werden. Der Teppich wird dann in einem dem heutigen Gebäudekomplex hinzugefügten Neubau ausgestellt.

Um den Teppich auch während dieser Zeit erlebbar zu machen, gibt es eine beeindruckende Digitalisierung auf der Website des Museums. Sehr umfangreiche Informationen zum Teppich und seiner Geschichte bietet zudem ein Artikel in der deutschen Wikipedia.

Weiter an die Küste

Nach dem Besuch des Musée de la Tapisserie de Bayeux gönnen wir uns gegenüber auf der gemütlichen Terrasse des Tapestry Garden einen kleinen Mittagsimbiss. Dort sitzt man wirklich nett. Bei Burgern, Pommes und kühler Limonade resümieren wir unseren Besuch bei Wilhelm dem Eroberer und Harold, seinem Widersacher.

Anschließend geht es über die Kathedrale von Bayeux zurück zum Wohnmobil, das wir auf dem Marché Saint-Patrice abgestellt haben. Dort starten wir gegen 16:40 Uhr und fahren nach Norden.

Unser Ziel ist zunächst Port-en-Bassin-Huppain. Wir erreichen die kleine Hafenstadt gegen 17:00 Uhr. Leider ist der Stellplatz dort komplett belegt. Unser nächstes Ziel wird so Arromanches-les-Bains, der Ort auch direkt an der Küste des Ärmelkanals gelegen, war einer der wichtigsten Landepunkte der alliierten Truppen am 6. Juni 1944 war.

Auf den Weg dorthin verlassen wir kurz die D 514. Wir drehen nördlich der Straße auf Feldwegen eine Runde um die ehemaligen Stellungen der Küstenbatterie Longues-sur-Mer. Sie sollte in 2. Weltkrieg eine Schlüsselrolle bei der Abwehr der Landung der alliierten Truppen übernehmen.

Arromanches-les-Bain

Arromanches-les-Bain erreichen wir kurz darauf. Im Ort selbst gibt es zentral gelegen einen recht großen Wohnmobilstellplatz. Dieser erscheint uns jedoch wenig einladend. Also weichen wir auf den Parkplatz der Gedenkstätte für den D-Day 1944 aus. Dort oben auf den Klippen gefällt es uns deutlich besser. Von dort hat man einen guten Blick hinaus auf das Meer und die Strände von Asnelles, wo sich im Juni 1944 Dramatisches abspielte.

Strand von Asnelles
Strand von Asnelles

Der Strand gehörte am 6. Juni 1944 zum Landungsabschnitt Gold Beach am sogenannten D-Day. Dort landeten damals britische Einheiten. Durch einige glückliche Umstände gelang ihnen eine verhältnismäßig verlustarme Landung. So konnten bei einem Verlust von 400 Toten an diesem Tag erstaunliche 25.000 Mann an Land gehen.

Asnelles

Wir wollen uns den Ort dieses Geschehens etwas genauer ansehen. So nehmen wir die Räder und fahren von den etwa 50 Meter über dem Strand liegenden Klippen hinunter nach Asnelles. Bald merken wir, dass die Geschehnisse rund um die Invasion der Alliierten hier noch immer ein großes Thema sind. Schon auf der Landstraße vor Asnelles sind an der Straßenböschungen übergroße Reproduktionen von Presseartikeln aus jener Zeit installiert. Sie berichten von den Zerstörungen, dem Leid der Zivilbevölkerung in den Küstenorten, der Résistance und dem Kampf der Landungstruppen.

Zeitdokumente an der Straße, Asnelles
Zeitdokumente an der Landstraße

Wir fahren durch die Nebenstraßen von Asnelles hinunter zum Strand. Dabei stoßen wir auf einige Gedenktafeln, die auf wichtige Orte des damaligen Geschehens verweisen. So etwa eine Tafel am Ende der Allée de la Mer. Sie berichtet, dass über diese schmale Straße in den ersten vier Monaten nach dem 6. Juni 1944 220.000 Soldaten und 40.000 Fahrzeuge ins Landesinnere gelangten.

Gedenktafel in Asnelles
Gedenktafel in Asnelles

Möglich wurde dies dadurch, dass der Abschnitt von Arromanches-les-Bains bis Asnelles zum Standort des sogenannten Mulberry-Hafens B auserkoren wurde. Schon am Tag nach der Landung begann der Bau dieses Hafens. Hierzu waren in England große Senkkästen aus Stahlbeton gefertigt worden, die man über den Kanal schleppte und so vor dem Strand versenkte, dass sie eine künstliche Lagune bildeten. Diese konnte als Hafen auch für tiefgehende Schiffe genutzt werden. Am Strand von Asnelles endete der Schenkel des Hafens, über den Soldaten und Güter an Land gebracht wurden. Noch heute sind eine ganze Reihe der schweren Betonelemente vor der Küste zu sehen.

Wir bleiben ein wenig unten am Strand und beobachten das Treiben der Badegäste an diesem späten Nachmittag. Einige alte Traktoren sind auf dem weiten, trocken gefallenen Strand unterwegs und ziehen die kleinen Sportboote der Freizeitskipper an Land. Welch idyllisches Bild an einem Ort, der einst so kriegerisch war.

Strand von Asnelles
Strand von Asnelles

Dann fahren wir wieder hinauf zur Hauptstraße und machen uns auf die Suche nach einem Restaurant für win nettes Abendessen. Dieses finden wir nur wenige hundert Meter weiter: In der Bar und Brasserie La Barak’a ist noch ein Tisch für uns frei. Lage und Ambiente des kleinen Gastraums sagen uns zu, mit dem Essen sind wir jedoch weniger zufrieden. Steffis Vorspeise (Meeresfrüchteteller) und Hauptgang (falsches Filet) sind durchschnittlich, aber in Ordnung. Ich hingegen habe weniger Glück: Das Entrecôte schmeckt angebrannt, ebenso wie die Crème brûlée, die ich mir als Nachspeise ausgesucht hatte. Dafür und für zwei Getränke werden uns 82,80 Euro berechnet – ein zu stolzer Preis, wie wir meinen.


Bar und Brasserie La Barak'a
Bar und Brasserie La Barak’a

Nach diesem Reinfall schauen wir uns noch die Strandpromenade von Asnelles an. Auch hier ist der D-Day ein hoch aufgehängtes Thema – im wahrsten Sinne des Wortes. An jeder Laterne hängt hoch über uns das Porträt eines Helden der damaligen Tage.

Etwas lockerer sehen das Thema vielleicht die Kinder, die in Badekleidung einen der damaligen Bunker zu ihrem Eigen gemacht haben und auf dem Dach des Stahlbeton-Ungetüms die späte Abendsonne genießen.

  • Held des WWII, Asnelles
  • Frieden, Asnelles

Für uns bleibt noch der Rückweg zum Wohnmobil. Wir mühen uns die 50 Höhenmeter hinauf auf die Klippen zwischen Asnelles und Arromanches-les-Bains. Von dort oben genießen wir den Sonnenuntergang und beenden so einen äußerst erlebnisreichen Tag.

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