Heute geht es aus dem Hohen Languedoc hinüber an die Atlantikküste bei Montalivet. Nicht aber die Fahrt dorthin wird der Höhepunkt des Tages. Das wird vielmehr unser Besuch der Abtei Saint-Pierre von Moissac. Sie ist ein Höhepunkt der romanischen Architektur, stammt aus dem 12. Jahrhundert und ist weitgehend erhalten.
Fahrt bis Albi
Am 15. September brechen wir am Lac du Laouzas auf, Zunächst gilt es aber sich um Abwasser und Kassettentoilette zu kümmern. Als wir den Inhalt des Chemie-WC entsorgen wollen, wird uns auf unappetitlicher weise klar, dass hier die Kapazitäten mit der gerade ausgehenden Saison vollkommen erschöpft sind.
Der Stutzen zur Aufnahme des Inhaltes unserer Kassettentoilette ist bis zum Rand gefüllt. Dort steht die „Schei,,,“ sozusagen bis zum Hals. Unverrichteter Dinge verstauen wir das Gerät wieder randvoll im Kassettenfach. Wir hoffen heute noch eine andere Gelegenheit zu finden, den Inhalt loszuwerden.
Unser Fahrtziel soll heute die Atlantikküste bei Montalivet sein. Dorthin sind es an die 470 Kilometer. Unser Routenplaner berechnet dafür an die sechs Stunden Fahrzeit. Also wird es wohl ein Tag „on the road“. Aber vielleicht finden ja unterwegs etwas das es anzuschauen lohnt.
Zunächst geht über die Berge des Hohen Languedoc in Richtung Nordwesten. Dort ist die Landschaft angenehm sanft und die Gegend ausgesprochen ländlich. Nach ca. eineinhalb Stunden kommen wir an Albi vorbei, Die einzigartige Cathédrale Sainte-Cécile wäre auf jeden Fall ein Abstecher wert. Die konnten wir aber schon im Jahr 2018 besuchen.
Auf nach Moissac
Inzwischen haben wir ein anderes Ziel für einen lohnenden Zwischenstopp ausgemacht. Unser Baedeker Reiseführer empfiehlt ein Stück Welterbe am Wege. Es die Abtei Saint-Pierre von Moissac aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts.
An die 110 Kilometer sind bis es noch bis dorthin. Einige langwierige Ortsdurchfahren und die abenteuerliche Route, die unser Navi berechnet hat, machen daraus eine Stunde und vierzig Minuten Fahrtzeit. In Moissac angekommen, haben wir in der Nähe der Abtei mit dem Wohnmobil keine Chance zum Parken. So fahren wir zum Wohnmobilstellplatz unten am Ufer der Tarn. Davor können wir das Auto kostenfrei abzustellen. Wir schnappen und die Räder uns machen uns auf den Weg zur Abtei Saint-Pierre von Moissac.
Abtei Saint-Pierre von Moissac
Nicht sonderlich hoch ragt die Südseite der Abteikirche des Klosters Saint-Pierre am Place Roger Delthil in Moissac auf. Trotzdem beherrscht die die Kirche dort das Stadtbild. Das liegt auch an dem gewaltigen Eingangsportal an der Westseite. Es wirkt wie das Torhaus einer Burg, denn es ist mit wehrhaften Zinnen gekrönt.
Das Portal
Der Eingang wird von einem reich verzierten Mittelpfeiler, dem Trumeau geteilt. An seiner Frontseite tragen sechs Löwen mit ihrer urwüchsigen Kraft das Weltengebäude über ihnen. Links und rechts am Trumeau begrüßen der Apostel Paulus und der Prophet Jeremias die Besucher der Abteikirche.
Auf dem Trumeau liegt ein mächtiger Türsturz. Der ist mit acht großen Rosetten verziert. Gemeinsam mit dem Trumeau bildet er den griechischen Buchstaben Tau, eines der Sinnbilder des Kreuzes Christi.
Rechts und links begleiten Portalwangen mit biblischen Motiven den Besucher auf seinem Weg in die Abteikirche.
Über dem Türsturz das großartige Tympanon. Es ist von drei Archivolten mit floralen Dekoren eingerahmt.
Das Tympanon
Dort oben sitzt zentral ein riesiger Christus als Weltenrichter. Der Heiligenschein hinter seinem Haupt ist sein Attribut. Links und rechts wird er von den Symbolen der vier Evangelisten begleitet. Adler, Stier, Löwe und Engel stehen für Johannes, Lukas, Markus und Matthäus. Als äußerer Abschluss flankieren zwei aufrechtstehende Engel diese Gruppe. Sie weisen den Menschen am Tag des Jüngsten Gerichts den Weg in die Hölle oder den Himmel.
Um diese Gruppe herum sind in drei Registern die 24 „Ältesten“ angeordnet. Sie beobachten das Geschehen mit Musikinstrumenten oder Gefäßen in den Händen. Verblüffend ist, wie detailreich sie gestaltet sind. Jeder von ihnen trägt ganz individuelle Züge.
Dieses romanische Tympanon ist das erste, in der die apokalyptische Vision des Johannes mit Jesus als Weltrichter im Zentrum als Motiv umgesetzt wurde. Das Konzept wurde zuvor in Cluny entwickelt. Später findet sich dieses Motiv in unzähligen Variationen in den unterschiedlichen Stilepochen in der sakralen Architektur wieder.
Während Christus dort oben Weltgericht hält, ereignet sich unten in der linken Portalwange Unerhörtes.
Die Portalwangen
Oben stirbt der arme Lazarus an Hunger, während der Reiche sich an einem üppigen Mal labt. Später wird ihm das nicht gut bekommen.
Davon erzählt das Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus. Es ist im mittleren Register dargestellt. Dämonen befallen den Reichen auf dem Totenbett.
Unten, stark verwittert, aber trotzdem erkennbar die Dämonen, die einem bei den Sünden der Völlerei und Wollust heimsuchen. Besonders drastisch ist die Darstellung der Frau. In deren Scham ist eine schreckliche Kröte gekrochen und an ihren Brüsten laben sich Schlangen.
Die rechte Portalwange erzählt Geschichten um die Geburt und die Kindheit Jesu. Im linken Bild des unteren Registers verkündig der Engel Gabriel Maria die bevorstehende Mutterschaft.
Rechts davon offenbaren sich Maria und Elisabeth gegenseitig ihre Schwangerschaft.
Darüber bringen die heiligen drei Könige Maria ihre Gaben.
Ganz oben ist die Szene dargestellt, in der Jesus als wenige Wochen altes Kind im Tempel vorgestellt wird. Dabei klopf ein Engel Josef auf die Schulter und warnt ihn vor einer Gefahr. So fliehen Maria und Josef mit Jesus nach Ägypten.
Narthex – Sainte-Pierre von Moissac
Lange könnte man die unendlich vielen Details der Portals erforschen, aber ist lohnt sich natürlich auch ein Blick in die Kirche selbst. Der Weg dorthin führt vom Portal durch die Narthex. Sie ist eine architektonisches Meisterwerk. Gewaltigen Säulen tragen ein romanisches Kreuzgewölbe und den darüber liegenden Saal und den Glockenstuhl.
In der Abteikirche Sainte-Pierre von Moissac
Der einschiffige Kirchenraum ist durchgehend mit einer ornamentalen Bemalung versehen. Die war bereits im 15. Jahrhundert vorhanden und wurde in jüngster Zeit umfassend restauriert. So wirken die Farben heute strahlend und der goldene Grundton schafft eine warme Atmosphäre.
Besonders sehenswert sind dort einige Polychrome Plastiken aus Holz oder Stein. Sie stellen die biblische Schlüsselszenen dar.
Die Pietàs und die Flucht nach Ägypten
Da ist zunächst eine steinerne Pietà auf einer Konsole in der zweiten Kapelle der Südwand. Der tote Jesu liegt auf dem Schoß von Maria. Maria-Magdalena und der Apostel Johannes trauern mit ihr.
Die Gruppe stamm aus dem Jahr 1472 und wurde von Jehan und Gausen de Garrigue gestiftet. Beide waren reiche Flussreeder und Konsuln der Stadt Moissac. Da Maria auch die Schutzpatronin der Binnenschiffer ist, lag das Thema ihrer Stiftung nahe. Wenig bescheiden haben sich die Stifter als kleine Figuren zu den Füßen Marias verewigen lassen.
Eine weitere Pietà, ist die Figur „Unsere Liebe Frau von Lemboularie“. Wir finden sie in der Allerheiligen-Kapelle an der Nordseite. Früher befand sie sich nicht dort sondern in der Kapelle des Kapitelsaals am Kreuzgang.
In einer Nische der Südwand finden wir eine weitere polychrome Figurengruppe aus dem 15. Jahrhundert. Sie zeigt Maria und Josef auf der Fluch nach Ägypten. Während er die Gruppe mit der Leine in der Hand führt, trägt ein Esel die Gottesmutter mit dem Kind auf dem Schoß.
Die Grablegung
Die zweifellos beeindruckendste Figurengruppen finden wir in letzten Seitenkapelle des Chores.
Sie thematisiert in hervorragender Manier die Grablegung Christi. Fast lebensgroß sind die Figuren. Sie ist hervorragend aus Nussbaum geschnitzt und reich koloriert. Sie stellen dar, wie Jesus von Nikodemus und Josef von Arimatäa auf einem Leichentuch in das Felsengrab gelegt wird.
Aus der Ferne werden sie von fünf Frauen beobachtet, Eine von ihnen ist Maria-Magdalena.
Die räumliche Perspektive ist so gestaltet, der die Frauen durch ihre geringere Körpergröße gegenüber den drei Figuren im Vordergrund den Eindruck erwecken weiter entfernt zu stehen. So wie die Legende es erzählt.
Hier haben sich die Stifter etwas subtiler präsentiert. Eines der Wappen aus dem Sarg weist auf die Familie Caraman hin. Zwei Mitglieder dieser Familien waren von 1449 bis 1503 Äbte des Klosters.
Der Sarkophag
Unterhalb der Orgel, die uns bei unserem Besuch mit einigen Klängen erfreute, finden wir in einer Nische an der Nordwand einen gewaltigen steinernen Sarkophag. Geschlagen aus Pyrenäenmarmor ruht er auf zwei mächtigen frühchristlichen Säulenkapitellen.
Ist reich verziert. Neben den floralen Elementen finden wir im Zentrum ein kreisförmiges Emblem. Der vereint die Buchstaben X(CH) und R und damit die drei Anfangsbuchstaben des Wortes Christus. Hinzu kommen das Alpha und das Omega. Der erste und letzte Buchstabe des griechischen Alphabets. Sie stehen laut der Apokalypse für: „Gott ist der Anfang und das Ende aller Dinge“
Unterhalb dieses Symbols trinken zwei Vögel aus einem Kelch. Die sind ein antikes Symbol der heiligen Kommunion.
Der Sarkophag enthält die sterblichen Überreste des 1245 verstorbenen Abtes Raymond de Montpezat.
Der Salle Haute
Wir verlassen das Kirchenschiff und steigen eine enge und steile Treppe hinauf. Sie führt zum Salle Haute. Der Hohe Saal über dem Narthex ist ein architektonisches Kleinod aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts. 12 gemauerte Rippen bilden ein Schirmgewölbe. Sie münden oben in einen perfekten Kreis. Der quasi als Schlussstein das Gewölbe abschließt und die seitlichen Kräfte aufnimmt. Die zwölf Öffnungen unter den Arkaden stehen, so nimmt man an, für das himmlische Jerusalem so wie es Johannes in der Apokalypse beschreibt.
Der Kreuzgang der Abtei Saint-Pierre von Moissac
Neben dem Portal ist der Kreuzgang der Abtei das unbestrittene architektonische Aushängeschild. Um dorthin zu gelangen, gilt es aber zunächst im modernen Besucherzentrum an der Westseite der Abtei Tickets zu erwerben.
Dann dürfen wir den Innenhof mit dem Kreuzgang. Es ist einer der größten, bekanntesten und am besten erhaltenen Kreuzgänge aus der Zeit der Romanik. Die vier Galerien werden von 76 Säule und 8 Pfeilern gesäumt.
Bei den Säulen wechseln sich Einfach- und Doppelsäulen paarweise ab. Jede Säule mündet in ein korinthisches Kapitell. Sie sind der eigentliche künstlerischen Schatz der Abtei Saint-Pierre.
Jedes Kapitell dort ist einmalig und die meisten sind figürlich gestaltet. Die Pfeiler in den Ecken tragen die Bildnisse von Philippus, Matthäus, Petrus und Johannes. Die vier Pfeiler in der Mitte der Galerien sind weniger reich gestaltet. Nur nicht der in der Ostgalerie. Er trägt das Bildnis von Abt Durandus, dem Gründer der Abtei Saint-Pierre von Moissac.
Aber bleiben wir beiden den Säulenkapitellen die übrigens ganz hervorragend auf portalsaeule.de und clynypedia.com dokumentiert sind.
Tage oder Wochen könnten man hier zubringen, um die vielfältigen Motive an den Kapitellen zu bewundern und zu entschlüsseln. Zu vielfältig sind die Motive und die christliche Narrative dahinter. So hat man nicht im Geringsten die Chance, sich diese Welt hinter Mauern der Abteil Saint-Pierre von Moissac an einem Tag zu erschließen.
An die Ostgalerie schließen sich fünf weitere interessante Räume aus dem 12.Jahrhundert an. Darunter der Kapitelsaal und drei weitere Kapellen die nur den Mönchen offenstanden.
Eine Sünde aus der Neuzeit
Vermeintlich außerhalb der Klostermauer entdecken wir dann noch eine ungeahnte Bausünde. Durch den ehemaligen Hof, der den Kreuzgang von den Unterkünften und den Wirtschaftsgebäuden trennte, verlauft heute eine zweigleisige Bahnstrecke. Elektrifiziert und in einem leichten Rechtsbogen rasen heute die TGV-Züge der Strecke Bordeaux -Narbonne durch die Schlafsäle der der Mönche von vor über 800 Jahren. Unglaublich!
Fahrt nach Montalivet
So verlassen wir schwer beeindruckt Moissac. Es wird auch höchste Zeit. Als wir aufbrechen ist es bereits 17:30 Uhr und bis nach Montalivet liegen noch gute 280 Kilometer vor uns. Um gut voranzukommen, nehmen wir bis Bordeaux die Autobahn. Für die 160 Autobahnkilometer werden 23,90 € Mautgebühren fällig. Und das sind nicht die einzigen Kosten auf dieser Strecke
An der Raststätte Aire de Agen Porte d’Aquitaine müssen wir uns erstmals dem Thema AdBlue widmen. Fünf Liter sind hier für rund 18 Euro zu haben. Das Einfüllen gestaltet sich jedoch ohne Trichter schwierig. Die mit dem Kanister gelieferte Verlängerung ist zu kurz. Der Einfüllstutzen am Ducato ist recht unglücklich platziert. Mit Panzertape versuchen wir zwei Verlängerungen und den Kanister miteinander zu verbinden. Damit funktioniert es so leidlich. Aber mach Tropfen, der leicht klebrigen Flüssig geht, trotzen daneben.
Wir nutzen die Raststätte auch um Diesel zu tanken endlich den Inhalt unserer Kassettentoilette loszuwerden. Gegen 18:30 Uhr geht es weiter in Richtung Bordeaux
Als wir die Stadt an der Garonne kurz nach 20:00 Uhr erreichen, setzt bereits die Dämmerung ein. Während der Blauen Stunde geht es durch die endlos erscheinenden Wälder von Seekiefern der Landes du Médoc. Gegen 20:45 Uhr haben wir unseren Wettlauf gegen die Dunkelheit verloren. Der Halbmond hat sich hinter dicken Wolken versteckt. So vermag er es nicht, die Szene um uns herum zu erhellen. Zu allem Überfluss verfahren wir uns noch in Vendays-Montalivet. Deshalb müssen wir eine umständliche Runde durch enge Wege im Ort drehen. In der Dunkelheit übersehen wir dabei die tiefhängenden Äste eine Seekiefer. Mit einem gänsehauterzeugenden Kratzen und Schliefen „streicheln“ sie das Dach unseres Wohnmobils.
Gegen 22:00 Uhr erreichen wir dann endlich den Plage Vensag bei Montalivet und finden hinter den Dünen gleich bei einem Standübergang einen Stellplatz. Die nächsten Tage sind gerettet.