Heute nochmal eine lange Strecke. Es geht nach Montalivet an den Atlantik wo wir uns an den Strand legen und den Abend in dem kleinen Seebad verbringen.
Ein holpriger Start in den Tag
Der Start unserer heutigen Etappe ist mit Hindernissen verbunden. Als wir nach einem guten Frühstück aufbrechen wollen, meldet sich erneut die Ölstandskontrolle des Motors. Diesmal lautet die Anzeige nicht wie vor einigen Tagen “Ölstand kontrollieren”, sondern “Motoröl nachfüllen”. Oh, das wird wohl höchste Zeit, wie auch ein Blick auf den Ölmesstab zeigt. Das sollte nach dem Start unsere erste Pflicht sein.
Doch der Aufbruch gestaltet sich nicht einfach. Als wir den Code unseres Parktickets am Automaten eingeben, will sich die Schranke partout nicht öffnen. Wir versuchen es mehrfach, jedoch ohne Erfolg. Stattdessen erscheint eine für uns nicht nachvollziehbare Fehlermeldung im Display – technisches Kauderwelsch. Wir rufen die angegebene Telefonnummer für solche Fälle an. Der Anruf führt uns in eine Warteschleife mit französischen Ansagen, die wir leider nicht verstehen.
Hilfe im Rathaus
Also mache ich mein Fahrrad startklar und rolle hinunter in den Ort. Vielleicht kann uns jemand im kleinen Rathaus helfen, an dem wir gestern Abend vorbeikamen. Und tatsächlich, der Empfang im Hôtel de Ville in der Rue de Merisiers ist besetzt, und ich werde freundlich empfangen. Eine Dame spricht Englisch und versteht sofort mein Problem. Sie telefoniert und bedeutet mir dann, zum Wohnmobil zurückzukehren. Es werde jemand kommen, um uns zu befreien.
Also geht es wieder bergauf hinaus aus Messeix. Die Steigung ist beträchtlich, und ich lege die kleinste Übersetzung ein. Dabei passiert das nächste Missgeschick: Die Kette springt ab und verklemmt sich zwischen der Zahnkranzkassette und den Speichen. Also stelle ich das Rad auf den Kopf und greife mit Herz in die verschmierte Kette. Die Operation gelingt, aber ich hätte mir Handschuhe gewünscht, denn meine Hände sind nun ein einziges Öl-Schmierwerk.
Endlich freie Fahrt
Am Wohnmobilstellplatz angekommen, sind bereits drei Retter mit zwei Autos angerückt. Sie haben die Wartungstür des Automaten geöffnet und schauen etwas ratlos. Irgendwie bringen sie den Schlagbaum dann doch dazu, sich zu öffnen, und wir können endlich weiterfahren. Die fälligen sieben Euro drücken wir ihnen passend in die Hand. Wegen des Ärgers, den wir hatten, scheint damit wohl niemand gerechnet zu haben. Umso herzlicher werden wir verabschiedet. Das ganze Missgeschick hat uns eine Stunde gekostet.
Am Parkplatz gegenüber dem Friedhof halten wir nochmals an, um uns für den Tag zu sortieren. Ich versuche, die Schmiere von den Händen zu bekommen, und wir überlegen, wo wir bald Motoröl finden könnten.
Auf der Suche nach Motoröl
Das sollte am besten an einer Autobahnraststätte zu erledigen sein. Also entscheiden wir uns für die Weiterfahrt auf direkter Route Richtung Bordeaux. Nach zwanzig Kilometern erreichen wir endlich die Autobahn. Bis zur nächsten Tankstelle müssen wir allerdings noch weitere 50 Kilometer fahren. Wir sind erleichtert, als wir die E.Leclerc AUTOROUTE STATION SERVICE AIR DE LA CORRÈZE erreichen, ohne dass eine weitere Kontrollleuchte aufleuchtet. Das passende Öl ist natürlich vorhanden und schnell nachgefüllt. Wir nehmen uns vor, nun regelmäßig einen Blick auf den Ölmesstab zu werfen.
Die E.Leclerc AUTOROUTE STATION SERVICE AIR DE LA CORRÈZE ist übrigens eine sehr großzügig gestaltete Anlage. Kein Vergleich zu den deutschen Pendants von der Tank+Rast AG. Die Sache mit der Maut hat eben nicht nur Nachteile.
Durch das wunderschöne Périgord
Gegen 12:15 Uhr geht es bei bestem Wetter weiter. Die Autobahn führt nun mitten durch das wunderbare Périgord vorbei an alten und einzigartigen Städten wie Sarlat und Les Eyzies. Wir sind versucht, abzubiegen und in diese herrliche Landschaft einzutauchen, doch wir widerstehen! Schließlich haben wir für unsere vier Wochen ganz andere Ziele geplant.
Eine Stunde später wollen wir nochmals eine Pause einlegen und fahren von der Autobahn nach Saint-Léon-sur-l’Isle. Dort kennen wir einen wunderbaren, schattigen Platz direkt am Fluss. Wir breiten unseren Mittagsimbiss an einem der Tische aus und genießen die Ruhe sowie den Blick auf das Wasser. Gleich nebenan steht ein Angler im Wasser und versucht sein Glück mit Fliege, Schnur, Rolle und Rute. Sein Hund, ein schöner Weimaraner, tobt währenddessen auf der Krone des Wehrs herum, auf der er trotz oder wegen seiner nassen Pfoten vergnügt balanciert.
Ankunft in Montalivet-les-Bains
Gegen 13:50 Uhr reißen wir uns von dieser Idylle los und nehmen den letzten Abschnitt des Tages in Angriff. Es geht wieder auf die A 89. Eine halbe Stunde später überqueren wir bei Libourne die Dordogne. Ihr Wasserstand ist niedrig, und die Ufer sind von braunem Schlamm gezeichnet. Es ist Ebbe am Atlantik, und die Gezeiten reichen hier weit ins Land.
Dabei fällt uns ein, dass uns noch ein wichtiger Ausrüstungsgegenstand für eine Tour nach Spanien fehlt. Wir brauchen noch die dort obligatorische Warntafel für unseren Fahrradträger am Heck. Steffi prüft im Internet die Optionen eine in Bordeaux zu bekommen. Leider hat der entsprechende Händler vor Ort heute am Montag geschlossen.
Also kein Grund dorthin einen Abstecher zu machen. So durchfahren wir Bordeaux auf dem nördlichen Stadtring. Auf der Pont de Aquitaine geht es über die Garonne, die sich einige Kilometer stromab mit der Dordogne zur Gironde vereint. Diesem Strom werden wir auf unserer Tour nochmal einmal begegnen. Die Fahrbahn der Brücke liegt über 50 Meter über dem Fluss. Wir fragen uns, ob das noch immer ausreicht um die neuesten Ozeanriesen passieren zu lassen. Denn als die Brücke Ende der 60er Jahre in Betrieb ging hat sicher noch niemand an die Ausmaße von Kreuzfahrtschiffen der heutigen Tage gedacht.
Von Bordeaux sind es noch gute 90 Kilometer bis nach Montalivet-les-Bains, wo wir gegen 17:00 Uhr eintreffen. Wir fahren hinaus zu unserem altbekannten Standplatz an den Dünen, wenden und parken direkt hinter der großen Stranddüne. Zu unserer Überraschung stehen an dieser beliebten Stelle heute nur zwei weitere Camper. Uns soll es recht sein – je weniger Nachbarn, desto ruhiger.
Abend in Montalivet
Abends fahren wir mit dem Rad nach Montalivet und erleben einen Ort nach der Corona-Pandemie. Unser Lieblingsrestaurant, die Brasserie Café Les Dunes, ist verwaist. Also leider keine Moules in Weißwein mit Blick von der Terrasse auf das Meer. Das übrige Angebot entlang der Avenue de l’Océan ist ebenfalls ausgedünnt, und die Preise sind entsprechend gestiegen. Wir kehren ins Restaurant Chez Jaenot ein. Zwei Burger schlagen mit 30 Euro zu Buche, und mit Getränken landen wir bei 56 Euro – deutlich teurer als vor drei Jahren.
Ein Denkmal und eine Geschichte
Erstmals fällt uns dort, mitten auf dem Platz, ein offenbar neuer Gedenkstein auf. Über dem Schriftzug “OPERATION FRANKTON HMS TUNA” befindet sich ein Emblem mit einem stilisierten Thunfisch, darüber ein Anker und ein Tau, umschlossen von einem Eichenlaubkranz. Zunächst können wir uns darauf keinen Reim machen.
Also googeln wir ein wenig, während wir auf der kleinen Mauer sitzen, die den Platz umgibt, aufs Meer und die immer tiefer sinkende Sonne schauen. Schnell hat die Suchmaschine etwas Passendes gefunden.
Die Operation Frankton fand mitten im Zweiten Weltkrieg statt und startete nicht weit von hier. 16 Kilometer vor der Gironde-Mündung brachen Anfang Dezember 1942 zehn Männer in Faltkajaks vom englischen U-Boot Tuna auf. Ihr Ziel war es, in mehreren Nächten den über 100 Kilometer entfernten Hafen von Bordeaux zu erreichen. Dort sollten sie die im Hafen liegenden Schiffe mit Haftminen angreifen. Der Rückmarsch war über das damals neutrale Spanien geplant.
Die Operation wurde jedoch durch hohen Wellengang, Niedrigwasser und Missgeschicke der Besatzung stark beeinträchtigt. Letztlich erreichten nur zwei der fünf Boote Bordeaux. Dort konnten sie an mehreren Schiffen einigen Schaden anrichten – jedoch nichts, was nicht nach einiger Zeit wieder repariert werden konnte.
Nur zwei der Männer fanden den Weg zurück nach Hause. Zwei kenterten noch draußen vor der Gironde und starben an Unterkühlung. Die anderen wurden auf ihrem Weg nach Spanien entdeckt, den Deutschen übergeben und hingerichtet.
Mit dieser Geschichte im Gepäck geht es zurück zum Wohnmobil. Dort schauen wir noch so lange über die Düne bis die Sonne hinter dem Horizont versinkt.