Bahnradeln alt und neu

Erfurter Osten

Endlich ein nicht verplanter Samstag. Mitte Mai das Wetter sehr einladend. Ich will mit dem Rad eine schon öfter gefahrene Tour unternehmen. Entlang der ICE-Strecke Erfurt – Halle solle es Richtung Nordosten gehen. Dann bei Rastenberg hinauf auf den Höhenzug der Finne. Hier beginnt dann das Finnebahnradweg der mich nach Kölleda bringen soll. Enden wir die Tour in Weißensee.

Zunächst verlasse ich Erfurt Richtung Osten über den Ringelberg. Sonst folge ich hierzu den Radweg „Thüringer Städtekette“. Der verlässt die Stadt über den Leinefelder Weg, mitten durch beschauliche Schrebergartenanlagen mit 7-8% ansteigend in Richtung Weimar. Ich denke mir aber: versuche doch mal eine Variante und nehme den Annaberger Weg. Hier ist der Anstieg kürzer, aber sehr knackig. 14% über vielleicht 400 Meter.

Ich biege außer Atem nach Süden ab um auf den Fernradweg zu kommen und werde mit einer mir bisher unbekannten Aussicht über Erfurt belohnt. Der Blick auf Dom und Severikirche zeigt jedoch wir grausam städtebauliche Sünden sein können. Übrigens machen die Segnungen der letzten Jahre (IKEA und Windrad im Hintergrund) die Sache auch nicht besser.

Verbaut

Kurz vor der Brücke über den Erfurter Ostring überholt mich ein Radler. Kurze Worte über das Woher und Wohin ergeben, daß auch er ihn Richtung ICE-Trasse unterwegs ist – und dieser soweit möglich – heute noch bis nach Halle an der Saale folgen will. Er führe die Strecke täglich mit dem ICE und wolle diese nun einmal entschleunigt mit dem Rad erleben. Sein Trainingszustand scheint mir jedoch deutlich besser als meiner und bevor er auf den Gedanken kommt, eine Fahrgemeinschaft für die nächsten 30 km anzubieten, wünsche ich ihm in Azmannsdorf eine gute Fahrt. Ich stoppe kurz in Azmannsdorf und mache eine Foto, welches alle Markentheoretiker verblüffen sollte.

Markentheorie?

Azmannsdorf

In Azmannsdorf dann eine Funkwagen mit Blaulicht. Er führt einen Fahrradkorso von sicher mehr als 200 Teilnehmern an, alle in schicke grüne T-Shirts gekleidet. Ich reihe mich kurz ein und frage wohin die Tour denn gehen soll. Ich bekomme von einen Teilnehmer, der wegen meiner spontanen Teilnahme am Kosro und Frage offenbar verblüfft ist, die zweisilbige Antwort: Apolda. Dort ist zur Zeit Landesgartenschau. Ich nehme an, dies wird das eigentliche Ziel sein. Mehr kann ich leider nicht erfahren, denn ca. 700 Meter hinter Azmannsdorf biege ich rechts ab und bin plötzlich ganz alleine.

An der ICE-Strecke

Für die nächsten 25 Kilometer jedenfalls. Ich bin nun auf dem Wirtschafts- und Rettungsweg entlang der ICE-Trasse. Da dieser der Scherkondebrücken unterbrochen ist, muss ich hin und wieder die Trasse verlassen. Aber auch auf diesen Abschnitten ist heute kaum etwas los.

Die Neubaustrecke des ICE verlässt kurz hinter Azmannsdorf die Bahnlinie Erfurt – Weimar und schneidet sich Richtung Nordosten nach Halle an der Saale durch die Landschaft. Eine gewaltige ingenieurtechnische Leistung, zu der neben der eigentlichen Bahntrasse auch dieser wunderbare Weg mit seiner angenehm zu fahrenden Bitumendecke gehört. 

Nach ca. 3 Kilometern hat der Spaß allerdings erstmal ein Ende. Wie ich schon befürchtete, ist die Furt durch die Gramme nach den letzten zwei Tagen mit Starkregen heute nicht passierbar (ca. 70 cm Pegel an dieser Stelle). Jedenfalls nicht für mich. Auch die Kettenschaltung meines Rades und die mitgeführte Fotoausrüstung scheinen mir zu wasserscheu um ein Bad in diesem Bach zu riskieren. Einer scheint es aber gewagt zu haben. Die nassen Spuren auf der anderen Seite verraten es. Sicher jener Radler, der Halle an der Saale heute noch erreichen wollte. 

Also ein kleines Stück zurück um über die L1056 und L1055 durch Klein- und Großmölsen nach ca. drei Kilometern die ICE-Trasse wieder zu erreichen. 
In aller Einsamkeit geht es weiter bis kurz vor Krautheim. Immer wieder Blicke in das Thüringen Becken. Die Ortschaften links und recht der Strecke grüßen mit meist roten Dächern und spitzen, schiefergedeckten Kirchtürmen.

Zwei Rohrweihen spielen miteinander akrobatisch in der Luft und werden ein wenig später in der Höhe von Sperbern attackiert. Ich nehme mir eine viertel Stunde Zeit um dieses Schauspiel zu beobachten.

Über Getreidefeldern im statten Grün, kontrastiert durch endlos erscheinende Rapsschläge in gelber Blüte hört man die ersten Feldlerchen.Ansonsten Stille.

Und aber dann kommt eine Urgewalt. Ein ICE rauscht vorbei. In der Regel ist der auf diesem Streckenabschnitt mit über 250 km/h unterwegs. Sehr beeindruckend.

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Krautheim und das Scherkondetal

Kurz vor Krautheim muss ich die ICE-Trasse verlassen. Die erste große Brücke an der Trasse zwischen Erfurt und Halle an der Saale, die Scherkondetalbrücke, ist in Sicht. Dort gibt es keinen Weg direkt an der Strecke, so dass man die Brücke mit dem Rad umfahren muss. Ich wähle die einzige sinnvolle Variante an dieser Stelle und biege Richtung Krautheim ab. In diesem sonst sehr stillen Ort höre ich zunächst etwas Blasmusik – diese und jene Takte etwas schräg intoniert – und treffe dann auf ca. 50 junge Leute, meist in rotem T-Shirt, die der Minikapelle folgen. Hier zieht man wohl von Hof zu Hof um Spenden für die nächste Kirmes zu sammeln. Ich komme als Fremder um einen Wegezoll herum. In meiner ursprünglichen Heimat Brandenburg wäre ich bei einem solchen Anlass sicher nicht so glimpflich davongekommen. 

Weiter geht es Richtung Haindorfer Mühle und dann über einen sehr unschönen Betonplattenweg hinauf auf die Bermbacher Höhe. Diese bietet nochmal einen tollen Blick nach Westen in das Thüringer Becken, nach Südwesten auf den Ettersberg und auch auf die Scherkondetalbrücke. Von hieraus kann man der ICE-Trasse bis kurz vor der nächsten Talbrücke folgen.

Kurz nachdem die Bahnstrecke Buttstädt – Sömmerda – die sogenannte Pfefferminzbahn (entlang dieser Strecke liegen einige bedeutenden Kräuteranbaugebiete) – die ICE-Trasse kreuzt, endet auch der befahrbare Weg entlang der Strecke. Ich begebe mich auf die Straße nach Mannstedt und lichte noch einen Blick auf die Gänsebach-Talbrücke ab. 

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Finnebahnradweg

Nun geht es über Mannstedt, und Hardisleben nach Rastenberg. Alle drei Orte sehen an einem Samstag um diese Tageszeit recht verschlafen aus. Die Ortsbilder sind allerdings recht einladend. In Rastenberg finde ich das „Restaurant“ zu Stadttor geöffnet vor. Unerschrocken vom äußeren Eindruck entere ich die Terrasse und dope mich mit zwei großen Gläsern Cola. 

So gestärkt erklimme ich nun den Höhenzug der Finne gleich am nördlichen Ortsrand von Rastenberg. Oben angekommen treffe ich auf den Finnebahnradweg, der mich Richtung Osten führen wird. Ein ganz anderes Bahnradeln als an der ICE-Trasse. Die ehemalige Bahnstrecke wurde 1914 eingeweiht. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Bahnanlagen demontiert und gingen als Reparationsleistung in die Sowjetunion. Nun wurde die Trasse als Radweg wiederbelebt.

Sehr angenehm zu fahren in diese Richtung. Fast immer leicht bergab rollt man auf einer Bitumendecke Richtung Kölleda. Auffallend sind die ehemaligen Bahnhofsgebäude in Bachra und Ostramondra, die eine neue Verwendung als Wohnhäuser gefunden haben. Nur vor Großmonra geht es merklich bergan. Als Belohnung winkt auf der Höhe ein Rastplatz und ein toller Blick in das Thüringer Becken. Nun mit 8% Gefälle geht es von dort hinunter nach Großmora. Hier muss man den weiteren Wegverlauf ein wenig suchen, was mir wegen meiner früheren Touren hier entlang nicht schwer fällt. Mehr über diesen Weg erfahrt Ihr hier.

Kölleda, Kiebitzhöhe und Leubingen

Nach weiteren 30 Minuten bin ich in Kölleda, um dort vom Ortsteil Kiebitzhöhe den Weg über Stödten und Leubingen nach Weißensee zu nehmen. Während ich bisher nur auf guten und sehr guten Wegeoberflächen unterwegs war, ist mir bewusst das ich nun ein gewisses Risiko eingehe.  

Der Feldweg zwischen Kiebitzhöhe und Stödten ist nicht befestigt. Ich gehe das Wagnis ein und scheitere. Der Regen der letzten Tage hat den schweren Boden komplett aufgeweicht. Nach nur 400 Metern dreht sich im wahrsten Sinne des Wortes kein Rad mehr. Der schwere Boden verklebt die Laufräder komplett. Der Reifenquerschnitt wächst innerhalb weniger Meter auf Ballongröße und darüber hinaus an.  Nichts geht mehr. Ich ziehe die Schutzbleche ab und rette mich schiebend auf den gras- und brennnesselbewachsenen Streifen zwischen Weg und Feld.

So gestaltet sich der nächste Kilometer. Ich bin ein wenig entnervt, die nackten Unterschenkel fühlen sich wegen des intensiven Kontaktes mit den Brennesseln mehr als gut durchblutet an.

In Stöden angekommen entferne ich manuell den gröbsten Schlamm. Am Leubinger Fürstengrab das letzte Foto der Tour.

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Über Leubingen und Scherndorf nach Weißensee führt der letzte Abschnitt für heute. In Weißensee schnell noch zur Tankstelle mit der Hochdruckwaschdüse. Dann ins Quartier, wo ein Grillabend und Schwalbenstreit den Tag beenden. 

Schwalbenstreit

Und hier ging es heute lang:

Erfurt - Rastenberg - Weißensee
Erfurt – Rastenberg – Weißensee

3 Kommentare zu „Bahnradeln alt und neu“

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